Geschichte der Juden in Thüringen
Die jüdische Besiedlung Thüringens begann vermutlich schon im 10. Jahrhundert. Gesicherte Quellen dafür gibt es aber erst für das 12. und 13. Jahrhundert (z.B. für Erfurt 1137, Mühlhausen um 1220, Eisenach 1235, Gotha um 1250). Erste Erwähnungen beziehen sich bereits auf etablierte Gemeinden, z.B. auf Synagogen, Grabinschriften oder Hinweise auf Rabbiner. Ein einzigartiges schriftliches Zeugnis ist der Text der Eidesformel für Erfurter Juden vom Ende des 12. Jahrhunderts, die auf die Existenz einer größeren jüdischen Gemeinde und auf bestehende Handelsbeziehungen schließen lässt. Die Juden wohnten damals in der Nähe der städtischen Handelszentren.
Im Laufe des 13. Jahrhunderts blühten die Gemeinden trotz wiederholter Angriffe auf. Der mittelalterliche Antijudaismus war auch in Thüringen verbreitet. So kam es zu zahlreichen Verfolgungen, die nicht selten mit dem Vorwurf des Ritualmords verbunden waren. Ende des 13. Jahrhunderts häuften sich diese Vorfälle. Es gab regelrechte Pogromserien, die sich von Stadt zu Stadt ausbreiteten.
Die Erfurter Juden konnten 1303 durch die Zahlung einer hohen Geldsumme an den Stadtrat ihr Leben retten. Nach der Pest im Jahre 1349 eskalierten die Pogrome. Nachdem man den Juden die Schuld an der Pestepidemie gegeben hatte, rief Markgraf Friedrich II. von Thüringen höchstpersönlich seine Untertanen zum Mord an den Juden auf. In Erfurt wurden damals 100 jüdische Bürger erschlagen, bei einem anschließenden Brandanschlag kamen noch einmal ca. 900 Menschen ums Leben. Diese Pogromwelle erreichte auch andere Städte Thüringens. Trotzdem siedelten sich schon wenige Jahre nach dieser Katastrophe wieder einzelne jüdische Familien in thüringischen Städten an.Maßgebend dafür waren wirtschaftliche Gründe, da die Städte die Einnahmen aus den Judensteuern brauchten und deshalb den Juden wieder die Tore öffneten. Die Stadt Erfurt bereitete diese Ansiedlung sogar planmäßig vor, so baute sie „Judenhäuser“ zur Vermietung (1355) und sogar eine Synagoge (1357). Mit der Zeit entwickelte sich aufs Neue eine blühende jüdische Gemeinde, die durch ein rabbinisches Schiedsgericht und Rabbiner-Synoden über die Stadtgrenzen hinaus Bedeutung erlangte. Die rechtliche Situation der Juden war allerdingst deutlich schlechter als in der Zeit vor der Pest. Sie wurden mit hohen Abgaben, Sondersteuern und diskriminierenden Vorschriften belastet.
100 Jahre nach dem Wiederbeginn kam es zu einer weiteren Katastrophe für die Juden in Thüringen. Diese wurde durch die Hetzpredigten des Franziskaners Capestrano in Erfurt und Jena(1452) ausgelöst, die zu einer weiteren Serie von Pogromen führten. Nach und nach wurden die Juden aus den thüringischen Städten vertrieben. Die Stadt Erfurt erhielt 1458 vom Mainzer Bischof die Bestätigung, dass die Juden „auf ewige Zeiten“ ausgewiesen waren. Die Vertriebenen flohen damals nach Osten in das viel gastfreundlichere Polen. Mit dieser Vertreibung war die mittelalterliche jüdische Kultur in Zentral- und Nordthüringen ein weiteres Mal ausgelöscht. Lediglich im südlichen Thüringen konnte ein Landjudentum bis ins 20. Jahrhundert überleben.
Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnten sich – im Zuge einer langsam fortschreitenden bürgerlichen Emanzipationsbewegung – wieder zunehmend mehr jüdische Bürger in Thüringen niederlassen und neue Gemeinde gründen. Die Stadt Erfurt verteidigte allerdings bis 1802 ihr Recht, keine Juden aufnehmen zu müssen. Der Magistrat versuchte noch jahrzehntelang, die Niederlassung von Juden zu behindern und ihre Bürgerrechte einzuschränken. Der Bau einer Synagoge im Jahr 1840 zeigt jedoch, dass sich nun auch hier eine Gemeinde herausgebildet hatte. Auch in vielen anderen Orten zeugten Synagogen-Bauten vom schrittweisen Aufblühen jüdischer Gemeinden. 1930, kurz von der letzten Katastrophe, gab es in Thüringen insgesamt 27 jüdische Kultusgemeinden.
Während der Zeit des Nationalsozialismus erlitten die Thüringer Juden das gleiche schreckliche Schicksal wie ihre Glaubensgenossen im ganzen Land. In der Pogromnacht 1938 wurde in Erfurt die Synagoge angezündet und brannte aus. Viele jüdische Männer aus Thüringen wurden verhaften und ins nahe gelegene Konzentrationslager Buchenwald verbracht. Vielfach wurden sie nur unter der Auflage, möglichst bald auszuwandern, wieder entlassen. Von 1941 bis in die letzten Kriegstage wurde das Vernichtungsprogramm der Nazis auch an den Thüringer Juden gnadenlos vollstreckt. Ein typisches Beispiel ist der Transport vom 10. Mai 1942: 148 Juden aus Mühlhausen, Nordhausen und Erfurt wurden in das Ghetto von Belzyce im polnischen Distrikt Lublin deportiert. Sie kamen entweder im Ghetto um oder wurden in den Gaskammern des Vernichtungslager Majdanek ermordet.
Nach dem Kriegsende 1945 kehrten 127 Überlebende aus dem Lager Theresienstadt nach Thüringen zurück, davon 15 nach Erfurt. Dazu kamen etwa 400 Überlebende aus der Breslauer Gegend. 1946 wurde der Landesverband Thüringen gegründet, zu dem die Gemeinden Erfurt, Eisenach, Jena und Mühlhausen gehörten. In der Erfurter Gemeinde begann man auf Initiative des damaligen Vorsitzendes Max Cars schon bald mit Planungen für den Bau einer neuen Synagoge, die dann tatsächlich als einziger Synagogen-Neubau der DDR am 31. August 1952 eingeweiht werden konnte.
Infolge der durch die stalinistischen Verfolgungen ausgelösten Fluchtwelle von 1953/54 verlor der Thüringer Landesverband 38 Prozent seiner Mitglieder. Danach wurden die Gemeinden Eisenach, Gera, Jena und Mühlhausen geschlossen. Erfurt wurde zum Sitz der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. 1989 gehörten ihr nur noch 26 Mitglieder an. Die Existenz unserer Gemeinde wurde letztlich nur durch Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion gerettet. Im Jahre 2002 war sie bereits wieder auf 580 Mitglieder angewachsen.
Nach 2002 brach die Migrationswelle aus der ehemaligen Sowjetunion ein. Gegenwärtig zählt die jüdische Landesgemeinde Thüringen ca. 700 Mitglieder.